Teures Praktikum. Der Skillgaming-Betrieb Tipp24games wird nach Management-Fehlern und einem Verlust von etwa 10 Mio. Euro in 2012 geschlossen – nachdem er noch 2008 von Cornehl als Alternative zum weiterhin illegalen Lottogeschäft angekündigt worden war. Der Verlust beträgt das 2,5-fache der zuletzt 2008 gezahlten Dividende. Das Jahresergebnis 2010 wird vom Vorstand nachträglich nach oben frisiert.
Im Geschäftsbericht 2011 wird das Ende so beschrieben:
Das Geschäftsmodell der Skill-Based-Games konnte nicht nachhaltig an die Profitabilität des Kerngeschäfts anknüpfen. Daher haben wir uns entschieden, diese Aktivitäten in 2012 in einem geordneten Prozeß einzustellen (Geschäftsbericht 2011 der Tipp24 SE, Seite 66).
In 2008 hieß es zum Thema noch:
Bereits zum Börsengang 2005 hatte [Tipp24] angekündigt, sein Kerngeschäft, die Vermittlung staatlicher Lotterieprodukte, um weitere Produktbereiche zu ergänzen (Pressemeldung Tipp24 vom 26.9.2008).
Tipp24games konnte unter Cornehl und Brinck zu keiner Zeit an die „Profitabilität des Kerngeschäfts anknüpfen“ – statt dessen lieferten beide jährlich steigende Verluste, siehe hier und hier:
2008: -1.480.896 Euro (Jahresabschluß 2008, Seite 11)
2009: -2.370.478 Euro (Jahresabschluß 2009, Seite 11)
2010: -3.304.244 Euro (Jahresabschluß 2010, Seite 9)
2011: -1.976.000 Euro (Geschäftsbericht 2011 Seite 66, zweifelhafter Wert)
Summe: -9.131.620 Euro (Untergrenze).
Frisierter Abschluß 2010:
Der Gesamtverlust liegt vermutlich deutlich über 10 Mio. Euro: so wurde im „Geschäftsbericht“ 2011 der Verlust für das Vorjahr 2010 nachträglich und unkommentiert heruntergesetzt (von -3.304.244 auf nur -2.423.000) . Nach Logik der Dinge dürfte damit der im GB 2011 angegebene Verlust 2011 von -1.976.000 ebenfalls zu niedrig sein.
Fehler 1 – Vermarktungsdefizite von tipp24games:
Zum Scheitern hat offenbar die schleppende Vermarktung von tipp24games beigetragen. Die geringe Spieler-Reichweite ergibt sich aus dem Vergleich mit Wettbewerbern wie King.com (Marktführer), gameduell.de und deutschland-spielt.de. Tipp24games fällt wegen zu geringer Nutzung aus den Alexa-Charts heraus und kann nicht dargestellt werden:
Fehler 2 – Keine Medienpartner:
Es ist offenkundig nicht gelungen, lukrative Medienpartnerschaften abzuschließen. Während sich bei King.com Medien wie RTL, ProSiebenSat.1, Bild und große Internet-Portale die Klinke in die Hand geben, blieb tipp24games weitgehend allein. Das läßt sich schon aus der Google-Site-Statistik entnehmen, in der die Subdomains der Werbepartner ersichtlich sind. Der Spiele-Vorläufer enter.tv wurde bereits in 2007 von ProSiebenSat.1 vermarktet. Cornehl, Brinck und dem aus der Medienstadt München zugereisten Tipp24-Manager Magnus von Zitzewitz fehlte offenbar der Zugang.
rtl.king.com Keine Einträge
prosieben.king.com
kabeleins.king.com
bild.king.com
tv2dk.king.com
msnde.king.com
msn.king.com
msnpelit.king.com
cl.yahoo.king.com
pe.yahoo.king.com
ar.yahoo.king.com
aol.king.com
aoluk.king.com
aoljeuxfr.king.com
spray.king.com
jeuxfr.king.com
passagen.king.com
jetztspielende.king.com
orange.king.com
images.king.com
imageqa.king.com
zylom.king.com.
3. Fehler – Betriebsprobleme von tipp24games:
Das erfolgsentscheidende Matching der Spieler nach Spielstärke und die Bekämpfung von Betrug durch automatisierte „Bots“ wurden offenbar nicht ernsthaft verfolgt. Bei tipp24games scheint eine lückenhafte Überwachung des Spielbetriebs zu einer Abwanderung von zahlenden Spielern und zu einem schlechtem Meinungsbild im Netz geführt zu haben. Das dürfte RTL & Co. nicht entgangen sein. Kommentare auf Webutation.net:
Echtzeitspiele im Internet stellen höhere Anforderungen als der wöchentliche Ziehungsrhythmus des deutschen Lottoblocks.
4. Fehler – unzureichende M & A – Vorbereitung:
Cornehl, kurzzeitig Investment Manager beim VC Earlybird, und Brinck haben offenbar seit dem Börsengang in 2005 ausführliche Betriebsspionagen Due Diligences bei Greentube (Marke Skill7), enter.tv und anderen Mitbewerbern durchgeführt. Kunden, Angebote und Erfolgskriterien sollten damit bekannt gewesen sein. Geholfen hat es offenbar nicht.
7 Jahre und 10 Mio. Euro später ist das Ergebnis mau. Nachdem eine Übernahme zum Prozeß vor dem Hamburger Landgericht führte und kürzlich das Jahr 2010 nachfrisiert wurde, hat Cornehl nun den Exit offenbar als Transaktion unter Gleichen strukturiert: Käufer von tipp24games ist der wegen Bilanzfälschung in 2009 zu 3 Jahren und 10 Monaten Haft verurteilte Markus Scheer. Als Vorstand der börsennotierten Phenomedia AG hatte er deren Umsatz mit über 100 Scheinfirmen in die Höhe getrieben, bevor sie spektakulär zusammenbrach. Über die diesbezüglichen Aussichten für Tipp24 SE wurde bereits hier und hier geschrieben. Über die weitere „Diversifikation“ wird der Vorstand auf der Hauptversammlung 2012 Rede und Antwort stehen müssen.
Nachtrag:
Die Ex-Marketing-Mitarbeiter von tipp24games sollen in Kürze von der deutschen Lotto 24 AG ihre Gehälter beziehen. Dieses Geschäft ist auch aus anderen Gründen zum Scheitern verurteilt, näheres in Kürze an dieser Stelle.
Online-Bewerbung des Ex-Geschäftsführers Sven Ivo Brinck vom Mai 2012:
„Kurz und knackig für die Suchmaschine: Über 12 Jahre Erfahrung in der Onlineindustrie: gaming, gambling, lotterien, lotto, internet, ecommerce, facebook games, social gaming, onlinegames, skillgames, casualgames, business development, innovationsmanagement, kreative prozesse, trendforschung, trendscouting, merger, acquisitions, m&a, change management und noch viel mehr : – )“ (xing.com)